4-Tage-Woche – Die eierlegende Wollmilchsau?

In Frankreich gilt die 35-Stunden-Woche und in Island wurde auf die 4-Tage-Woche bei vollem Lohn umgestellt. Auch hierzulande gewinnen flexibilisierte Arbeitszeitmodelle, respektive reduzierte Arbeitspensa, teilweise bei vollem Lohn, an Bedeutung. Gerade was die 4-Tage- Woche anbelangt, begegnet man der Anpassung der Arbeitspensa an neuzeitliche Erfordernisse allerdings noch mit spürbarer Skepsis. Trotzdem haben einzelne Unternehmen der Bau-/Baunebenbranche erste Erfahrungen damit sammeln können.

In Frankreich gilt sie schon seit mehr als 20 Jahren, die 35-Stunden-Woche. In Island folgte auf eine 3-jährige Testphase eine markige Umstellung: seit 2021 gilt auf der Insel im Atlantik die 4-Tage-Woche. Die Isländer arbeiten seither 35 Arbeitsstunden pro Woche und erhalten 100% Lohn. Weniger arbeiten bei gleichem Verdienst? Das kommt auch bei vielen Schweizern gut an – insbesondere bei jüngeren Arbeitnehmern. Das Forschungsinstitut «Sotomo» hat 2000 Personen befragt. Zwei Drittel der Befragten beurteilen in der Studie die 4-Tage-Woche bei 100 % Lohn als positiv. Doch in den Genuss derartiger Regelungen kommen hierzulande derzeit nur wenige Arbeitnehmende.

Wohl ist, gemäss Bundesamt für Statistik, seit den 1990er Jahren der Anteil an Teilzeitbeschäftigten, mit einem Pensum von 50 % bis 89 % im Jahr 2021, auf 22,5 % aller Arbeitnehmenden gestiegen. Dies ist jedoch nicht mit den isländischen Verhältnissen gleichzusetzen. Zwar sammeln erste Unternehmungen, etwa aus der Informatikbranche oder internationale Konzerne, Erfahrungen mit neuen Arbeitszeitmodellen wie der 4-Tage-Woche. Gerade im Handwerk aber, wie beispielsweise in der Bau- und Baunebenbranche, wird dieser Entwicklung mit Skepsis begegnet.

Weshalb kann weniger Arbeitszeit vorteilhaft sein?
Es gibt allerdings auch in diesem Sektor Ausnahmen. Aus verschiedenen Überlegungen haben beispielsweise Firmen des Elektroinstallations- oder Ofenbaugewerbes den radikalen Schritt gewagt. Ein Treiber für diese Innovation in Sachen «Arbeitszeitmodelle» war der Fachkräftemangel. Die Ansprüche der Mitarbeiter sind über die vergangenen Jahre gestiegen und viele sogenannte «Lohnnebenleistungen», wie beispielsweise das für die Rückkehr nach Hause zur Verfügung stehende Geschäftsauto, sind, je nach Branche, schon beinahe eine Selbstverständlichkeit.

Im Buhlen um Fachkräfte können Arbeitgeber jedoch mit innovativen und zukunftsträchtigen Arbeitszeitmodellen punkten. Denn gefragt sind, auch bei Handwerkern, die bessere Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Freizeit. Gerade jüngere Arbeitnehmer achten auf die Work-Life-Balance. Neben Überlegungen mit Bezug zum Personalmarketing, führen Befürworter der 4-Tage-Woche auch produktivitätsbezogene Gründe an. Schliesslich sollen längere Erholungsphasen der Ausgeglichenheit, Motivation und Gesundheit der Mitarbeiter förderlich sein. Darauf basierend kann argumentiert werden, dass dies auch der Produktivität und Arbeitsqualität förderlich ist.

Diese Logik funktioniert allerdings nur dann, wenn mit der 4-Tage-Woche auch eine Reduktion der Arbeitszeit einhergeht. Denn ab 9 Stunden Arbeitszeit verringern sich Konzentration und Produktivität. Bei gleichbleibendem Personalbestand stehen im Unternehmen somit auch weniger Arbeitsstunden zur Verfügung. Infolgedessen bedingt der Wechsel zur 4-Tage-Woche auch organisatorische Anpassungen. Arbeitsabläufe müssen womöglich optimiert und Leerzeiten beseitigt werden. Immerhin sollen dem Kunden aufgrund eines neuen Arbeitszeitmodells nicht Mehrkosten entstehen, was gerade auch einer der 4-Tage-Woche-Pioniere, Martin Ritler, Geschäftsleiter und Inhaber der Glutform Rüegg AG, betont: «Weil das neue Arbeitsmodell die Kundschaft nicht mehr kosten darf, muss es weniger Arbeitsausfälle geben.» Martin Ritler sah Handlungsbedarf.

Einerseits war sein im Cheminée- und Ofenbau tätiges Unternehmen vom Fachkräftemangel betroffen. Andererseits wollte er Arbeitsausfällen entgegenwirken. So entstand die Idee zur Einführung der 4-Tage-Woche. Sie wurde beim Unternehmen «Glutform Rüegg AG» auf den 01. Januar 2022 eingeführt und hat sich seither bewährt. Sie haben Anfang 2022 in Ihrem Unternehmen die 4-Tage-Woche eingeführt und wollten am Jahresende Bilanz ziehen. Was sind kurzgefasst die Erkenntnisse? Vorneweg, wir arbeiten auch heute noch nach dem Arbeitszeitmodell der 4-Tage- Woche. Dessen Einführung ist, rückblickend betrachtet, der richtige Entscheid. Die Änderung hin zur 4-Tage-Woche wird von den Mitarbeitenden geschätzt. Darüber hinaus haben wir auch positive Kundenrückmeldungen erhalten.

Profitieren alle von einer Reduktion der Arbeitszeit?
Allerdings ist der Mehrgewinn an Produktivität bei reduzierten Arbeitszeiten ein kontroverses Thema. Werden beispielsweise bei gleichbleibendem Lohn 20 % weniger gearbeitet, müsste damit eine Produktivitätssteigerung im zweistelligen Prozentbereich einhergehen. Innerhalb kurzer Zeit Derartiges umzusetzen, stellt doch eine grosse Herausforderung dar. Üblicherweise nimmt die Produktivität in kleinen, stetigen Schritten zu. Wird das Beispiel von Frankreich beigezogen, hat sich gezeigt, dass sich die Arbeitszeitreduktion nicht positiv auf die Wirtschaftssituation ausgewirkt hat. Tiefe Löhne und eine sich schlecht entwickelnde Wirtschaft sind bei unseren westlichen Nachbarn ebenso Realität wie die 35-Stunden-Woche. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass gerade auch im Dienstleistungsbereich einer effizienteren Arbeitsweise bald Grenzen gesetzt werden.

Ein Haarschnitt beim Coiffeur oder eine Busfahrt bei geltenden Tempolimite lassen sich nicht beliebig verkürzen. Zudem sind moderne Arbeitnehmer auch moderne Kunden – und die verlangen auch einen Rundumservice. Dieser ruft nach viel Präsenzzeit und damit wiederum nach «Manpower». Daher bestehen Zweifel, ob eine weitgehende Umstellung auf die 4-Tage-Woche überhaupt umsetzbar ist und nicht doch auch zu Mehrkosten führt – Kosten, die schlussendlich vom Kunden oder Steuerzahler getragen werden.

Dies dürfte insbesondere der Fall sein, wenn die 4-Tage-Woche nichts anderes ist als eine 80-Prozent-Stelle bei vollem Lohn. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kommt ein gewichtiger Nachteil dazu: Wenn viele Arbeitnehmer auch bei 80 % gut von ihrem Lohn leben können und sich die Produktivität nicht im gleichen Rahmen steigern lässt, wie die Arbeitszeit verkürzt wird, brauchen alle Unternehmen in bestimmten Branchen mehr Arbeitnehmer und nicht weniger. Diese zu finden, ist zurzeit schon schwierig. Man jagt sich so einfach kurzfristig gegenseitig die Mitarbeiter ab – und macht damit die Situation für die Arbeitgeber in der Branche eher noch schwieriger als besser.

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